Anfang April 2018 veranstaltete Adents als Experte der Bereitstellung von Lösungen zur Serialisierung und Rückverfolgung von Produkten in Paris seinen ersten Kongress zum Thema Serialisierung und Innovation. Mehr als 200 Teilnehmer folgten der Einladung. Im Rahmen der Veranstaltung wurden die beiden Arbeitspartner Microsoft und Siemens sowie Experten und Sachkundige aus dem Gesundheitswesen zusammengebracht. Ziel war ein Austausch zwischen Vertretern der pharmazeutischen Lieferkette, die von diesen Vorschriften betroffen sind. Auch wurden Lösungen für die Industrie 4.0 vorgestellt, die Wertschöpfung weit über Compliance hinaus bieten können.
Während seiner Begrüßungsrede stellte Adents Geschäftsführer und Mitbegründer Christophe Devins folgende Frage: „Was geschieht eigentlich, wenn die Technologie die Marktanforderungen nicht erfüllt?“ Seine Antwort war eindeutig: „Die bisherigen Smartphone-Technologien nahmen 2009 einen Marktanteil von bis zu 90 Prozent ein, der sich 2012 auf 0 Prozent reduzierte. In nur drei Jahren waren sie komplett vom Markt verschwunden.“ Christophe Devins zieht mit diesem Beispiel zum Thema neue Technologien eine Parallele zu den neuen Technologien zur Rückverfolgbarkeit und Serialisierung von Produkten, die in der Arzneimittellieferkette eingeführt werden, um dem Problem von Arzneimittelfälschungen entgegenzuwirken. „Letztere müssen in Zukunft alle betroffenen Akteure auf einheitliche und sichere Weise miteinander vernetzen, wie Markeninhaber, Marketingleiter, Großhändler, Vertriebsunternehmen, Krankenhäuser, Apotheken und nicht zuletzt auch den Patienten.“ Christophe Devins befürwortet diesen „Marketplace“-Ansatz und verweist dabei auf die Möglichkeit, durch die Verwertung von „Big Data“ Mehrwert zu schaffen und die Effizienz in der Arzneimittelindustrie zu steigern.
Anzahl gefälschter Medikamente steigt jährlich um 15 Prozent
Die Life-Science-Branche steht mittlerweile tatsächlich vor echten Herausforderungen. Laurent Curny, Geschäftsführer von Microsoft Services, nannte in seiner Rede einige Beispiele: das immer häufigere Auftreten chronischer Krankheiten, zahlreiche Patienten, die ihre Medikamente nicht einnehmen und auf diese Weise in den einzelnen Ländern erhebliche Kosten verursachen, exponentielle Kosten für die Entwicklung neuer Arzneimittel und das wachsende Problem von Arzneimittelfälschungen, das mittlerweile zu einer globalen Frage der öffentlichen Gesundheit geworden ist. Die Anzahl gefälschter Medikamente steigt jährlich um 15 Prozent, und sie sind Grund für zahlreiche Todesfälle. „Es ist mittlerweile unverzichtbar, die pharmazeutische Lieferkette vor Risiken zu schützen, die an jedem Punkt in der Kette auftreten können: bei der Rohstoffbeschaffung, bei der Produktherstellung, bei Lagerung, Transport, Vertrieb und Verkauf des Produktes“, so Laurent Curny.
Microsoft verfügt bereits über Lösungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen – Triage Bots, durch künstliche Intelligenz (KI) generierte Interaktionen zur Verbesserung der Vernetzung und Koordination auf operativer und klinischer Ebene – und investiert weiter in innovative Technologien für eine bessere Koordination im Bereich der Pflege, für die klinische Analyse, für die Genomsequenzierung usw. Als führendes Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation hat Microsoft beschlossen, in Kooperation mit Adents das gemeinsame Know-how einzusetzen, um den technologischen Anforderungen gemäß der von 40 Ländern verabschiedeten Gesetzesvorschriften im weltweiten Kampf gegen Arzneimittelfälschungen gerecht zu werden.
Auf der einen Seite ein Experte im Bereich der einzigartigen Kennzeichnung und Rückverfolgung von Produkten und auf der anderen Seite ein Partner mit einer leistungsstarken, bewährten Technologie in Form seiner Plattform Microsoft Azure – gemeinsam sind sie ein Cloud-Dienstleister, der über sein internationales Netz an Datenzentren die Entwicklung, Installation und Verwaltung von Anwendungen ermöglicht. „Wir denken, dass Microsoft mit den vier Grundpfeilern Transparenz, Datenschutz & Kontrolle, Konformität und Sicherheit, die die Basis unserer Plattform bilden, den besten Ansatz bietet, um das Vertrauen in die Cloud zu festigen,“ erklärte Laurent Curny. Denn die Umsetzung von Serialisierung ist eine Herausforderung und mehr als nur eine Belanglosigkeit: Bis Anfang 2019 müssen knapp 20.000 pharmazeutische Verpackungslinien entsprechend funktionsbereit sein. Knapp 10.000 Anlagen in den USA und 10.000 in Europa. Die Herausgabe von Richtlinien zeigt, dass jeder Staat spezielle Anforderungen stellt, was bedeutet, dass die gemeinsam von Microsoft und Adents realisierte Plattform (Adents Prodigi) besondere Anforderungen an Anpassbarkeit, Zukunftsfähigkeit und die Valorisierung von Daten erfüllen muss, sowohl was die Rückverfolgbarkeit als auch zukünftige Projekte anbelangt.
Digitalisierung der Verfahren in der Arzneimittelindustrie
Ist die Pharmaindustrie technologisch bereit, diesen enormen Schritt in Richtung Digitalisierung ihrer Produktionsverfahren zu bewältigen? Siemens, ebenfalls Partner von Adents, der nicht nur zusammen mit Adents Serialisierungslösungen in den Produktionsstätten implementiert, sondern auch Technologien zur Organisation industrieller Prozesse bietet, zeichnete ein Bild der Lage. Nicolas Teissié, Industry Software Product Manager bei Siemens, befürwortet eine vollständig digitalisierte (und papierlose) Produktion und stellt fest, dass 80 Prozent der Produktionsstätten nicht mit einem MES-System (Manufacturing Execution System) zur Erfassung von Produktionsdaten in Echtzeit ausgestattet sind.
Diese Information untermauert den vorherigen Beitrag seines Kollegen Andrew Whytock, Head of Digitalization and Innovation, Pharmaceutical Business, bei Siemens. Nach der ersten industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts, der zweiten (Elektrizität) und der dritten (Automatisierung) befinden wir uns nun auf dem Weg in die vierte, die digitale Revolution, die unsere Innovationen und Fertigungsabläufe transformieren wird. Demnach muss die komplette Wertschöpfungskette integriert und digitalisiert werden und nicht nur die Automatisierung der Produktion. Es wird ein ganzheitliches Digitalisierungskonzept empfohlen, das die Produktentwicklung, Produktionsplanung, Produktionstechnik, die Produktionsabwicklung und die Dienstleistungen bis zum Kunden integriert. Im Rahmen der Prozessdigitalisierung wird dann folgerichtig aus dem Master Batch Record (MBR) – das Modell zur Erfassung der Produktion einer Arzneimittel-Charge, das die Registrierung aller Details gewährleistet – das eBR (electronic Batch Record), sein digitales Abbild. Durch die Verknüpfung von Serialisierungstechnologien und eBR „wird die Rückverfolgung einer Charge vollständig transparent, von den ersten Schritten der Entwicklung bis hin zu den letzten Stufen innerhalb der Lieferkette“, erklärte Nicolas Teissié.
Die Integration der Serialisierungslösungen Adents Seriza und Adents Prodigi (Cloud) in die speziell auf die Pharmaindustrie zugeschnittene, papierlose und vollständig elektronische MES-Lösung "Simatic IT eBR" von Siemens ermöglicht die Weitergabe und Aktualisierung von Informationen zu Produktion und Serialisierung.
Blockchain, Monitoring-Anwendungen, Marketplace
Angesichts der Problematik hinsichtlich Datenfreigabe und Interaktivität zwischen den unterschiedlichen Akteuren innerhalb der Lieferkette ist es durchaus interessant, die Relevanz der Technologie Blockchain in Sachen Serialisierung zu hinterfragen. Wenn Adents und Microsoft eine auf der Rückverfolgbarkeit basierende Blockchain befürworten, die zum Ziel hat, das Vertrauen in die pharmazeutische Lieferkette und ihre Transparenz zu erhöhen, dann folgt ihre Definition bestimmten Prinzipien. Marc Gardette, Cloud Strategy Director bei Microsoft, erklärte: „Die Innovation der Blockchain-Technologie basiert auf Vertrauen und Wahrheit. Doch in erster Linie ist sie absolut sicher. Jeder einzelne in der Datenbank registrierte Ablauf wird digital signiert, und es ist mathematisch garantiert, dass sie unverfälscht und betrugssicher sind. Dies vorausgesetzt, können die Daten für jeden zugänglich gemacht und in Echtzeit freigegeben werden.“ Welche Folgen hat die Blockchain im Rahmen der digitalen Transformation für das Gesundheitswesen? „Sie kann die Gesundheitsfürsorge wirklich revolutionieren, indem sie Patienten beispielsweise Informationen bereitstellt, die ihnen helfen, ihren Gesundheitszustand zu verstehen und auf dieser Grundlage eigene Entscheidungen bezüglich ihrer Gesundheit zu treffen. Sie kann zudem Ärzte- und Pflegeteams zu besseren Diagnosen und Ergebnissen verhelfen, da diese in Echtzeit auf die richtigen Informationen zugreifen können.“
An den Produktionslinien sind die Folgen der Serialisierung unmittelbar erkennbar. Evren Ozkaya, Geschäftsführer und Gründer von Supply Chain Wizard, veranschaulichte, wie die durch die Umsetzung der Serialisierung hervorgerufene niedrigere Gesamtanlageneffektivität (GAE) durch die Implementierung von Monitoring- und „Marketplace“-Anwendungen ausgeglichen und zum Vorteil umgekehrt werden kann.
Interessant ist das Beispiel von Par Pharmaceutical, einem amerikanischen Hersteller von Generika. „Par Pharmaceutical hat nach der Implementierung von Serialisierungslösungen an seinen Produktionslinien hohe Einbußen bezüglich seiner Gesamtanlageneffektivität festgestellt“, erklärte Evren Ozkaya. „Dank der Installation eines OEE-Tracker an allen Verpackungslinien und der schnellen, evolutionären Implementierung durch den Einsatz von IoT-Sensoren konnte Par Pharmaceutical seine bislang manuelle Datenerfassung digitalisieren und so seine Effektivität verbessern – und zwar vom ersten Tag an.“
Künstliche Intelligenz und Mixed Reality
Künstliche Intelligenz war bei diesem Kongress auch ein großes Thema. Eneric Lopez, Director of Program Management Innovation/Startups/Developer bei Microsoft stellte einen konkreten Fall vor: Wissenschaftler der UCL und Forscher des Transformationsprojekts Cochrane nutzten künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zur Extraktion Tausender klinischer Prüfungsberichte, um diese in eine systematische Untersuchung einzubinden und so Ärzten bessere Entscheidungen bezüglich der Behandlung ihrer Patienten zu ermöglichen. Auf diese Weise entfielen Wochen langwieriger Arbeit, die bis dahin nicht hätte realisiert werden können.
Die Microsoft HoloLens, eine Brille mit einer integrierten eigenen Rechnereinheit, bietet weder die Darstellung einer virtuellen noch einer alternativen Realität, sondern eine sogenannte „Mixed Reality“, die das Beste aus virtueller und erweiterter Realität kombiniert und numerische Elemente und ausgesprochen realistische Hologramme in der realen Umgebung des Benutzers anzeigt. Evlampia Thoreau aus dem Hause Microsoft führte vor Ort vor, dass sie mit einer einfachen Handgeste mit Hologrammen interagieren, sie formen oder verändern kann. In der industriellen Umgebung eröffnet diese Innovation allen Beteiligten des Produktionszyklus ganz neue Perspektiven in Sachen Mobilität und Echtzeit-Interaktion. Genau das erwähnte Christophe Devins schon in seiner Begrüßungsrede zur Kongresseröffnung: „Die Technologien sind bereits vorhanden“.
Realität vor Ort
Johan Verhaeghe, National Policy Liaison Manager bei Medicines for Europe, das europäische Äquivalent zur französischen Organisation Leem, informierte in seinem Vortrag über die aktuelle Situation in Hinblick auf die strikte Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Umsetzung der Serialisierung. „Auch zehn Monate nach Bekanntgabe der europäischen Richtlinie zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen sind scheinbar ca. 50 Prozent der Länder in Bezug auf die Implementierung des europäischen Systems für die Verifizierung von Arzneimitteln (EMVS) damit im Rückstand, eine Verbindung von den Zulassungsinhabern oder ihren Auftragsherstellern (CMOs) zum Europäischen Hub sicherzustellen, an den diese ihre Seriennummern übermitteln müssen“, so Verhaege.
Auch auf amerikanischer Seite zeigt die den Arzneimittelherstellern von der Regierung zugebilligte einjährige Frist zur Umsetzung der DSCSA-Richtlinie (November 2018), dass die Dinge nicht mehr so einfach sind. So lautet die Kernbotschaft der Podiumsrede von Perry Fri, Executive VP Industry Relations, Membership & Education und Chief Operating Officer der Healthcare Distribution Alliance (HDA), dem größten Verband amerikanischer Arzneimittelhändler. Angesichts der von der Pharmaindustrie geschilderten Schwierigkeiten bei der Implementierung der Serialisierung hat die HDA das Produktdatenarchiv Origin ins Leben gerufen. Origin versteht sich als „zentrales Archiv mit Echtheitsgarantie“ für die GTIN-Codierung von Arzneimitteln. Es dient als Zentrale zur Vereinfachung der Kommunikation zwischen den einzelnen Handelspartnern und zur Produktidentifikation. „Es handelt sich dabei weder um einen Verteiler noch um eine Datenbank für Seriennummern, einen Transaktionsservice oder einen Wirkstoffkatalog“, betont Perry Fri.
Für Pharmazeuten im Krankhaus sieht die Situation auch nicht viel besser aus. Dr. Patrick Mazaud, Mitglied der Ordre des Pharmaciens, ist mit der Implementierung der Vorschriften gemäß der europäischen Richtlinie zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen in Krankenhäusern beauftragt. Erste Bilanz: Von 3.000 Krankenhauseinrichtungen in Frankreich sind lediglich 200 mit einem IT-System ausgerüstet. „Die Serialisierung ist für die Kliniken eine enorme Herausforderung, die sie dazu zwingt, Arbeitsorganisation und Logistik zu überdenken“, erklärte er. „Das ist die Chance für die Implementierung der digitalen Transformation in Krankenhausapotheken, doch sie erfordert für die Umsetzung der Richtlinie mehr Zeit als von der europäischen Union vorgegeben.“ Julien Delonca, Direktor der Klinik in Millau, einem kleinen Krankenhaus mit 448 Betten, bereitet die Umsetzung dieser Richtlinie echtes Kopfzerbrechen. Aufgrund der kleinen Größe seines Krankenhauses sind für ihn solche Investitionssummen einfach nicht aufzubringen.
Wie Sophie Molle, Managerin Healthcare Industry Engagement bei GS1, bereits erwähnte, „wird die Erfüllung der gesetzlichen Richtlinien mit über 65 bereits bestehenden oder noch kommenden Vorschriften für die Pharmahersteller immer schwieriger“. Zur Bewältigung dieser Herausforderung setzt GS1 sich für die Entwicklung von weltweiten Standards ein, die allen Akteuren der pharmazeutischen Lieferkette auf transparente und effiziente Weise einen gemeinsamen Austausch ermöglichen, da jeder Akteur in seiner Funktion ein festes Bindeglied in der Kette ist. Diese Vorschriften sind durchaus eine Herausforderung, doch die Forderung der Patienten und der Gesellschaft nach mehr Transparenz führt dazu, dass über kurz oder lang sämtliche Branchen betroffen sein werden. Von daher hat die Pharmaindustrie eine echte Chance, im Rahmen dieser Entwicklung bzw. Revolution die Vorreiterrolle zu übernehmen, um so in erster Linie die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten, aber auch um die Effizienz zu steigern und neue Möglichkeiten zur Mehrwertschöpfung zu finden.
Die nächsten beiden Ausgaben des Adents Serialization Innovation Summit finden am 20. und 21. Juni in Philadelphia und im Oktober 2018 in China statt.