
Pharma 4.0 wird für die Pharmabranche zum Alltag, sei es mit virtuellen Fabriken, smart Data als Fehlerbehebungsinstrument oder intelligenter Softwaren, die Komplexität in der Fertigung erheblich reduziert . pharmaindustrie-online.de sprach auf der diesjährigen Interpack in Düsseldorf mit Dr. Christian Hanisch, der bei Bosch Packaging Technology als Projektleiter für Industrie 4.0 speziell für den Produktbereich Pharma zuständig ist, über den Weg hin zur papierlosen Produktion, Kostensenkungspotentiale und tatsächlich in der Pharmapraxis umgesetzte Industrie 4.0-Beispiele.
pharmaindustrie-online.de: Herr Hanisch, die Interpack gilt als weltweite Leitmesse für Verpackungstechnik, die Fachbesucher erwarten von den Ausstellern Antworten und Lösungen auf ihre Herausforderungen, wie beispielsweise die Erfüllung neuer gesetzlicher Anforderungen. Welche Pharma-Highlights zeigen Sie den Interessenten hier am Stand?
Für unsere Kunden ist es enorm wichtig, die Anforderungen der jeweiligen Regularien zu erfüllen. Deshalb erfüllen unsere Produkte bei entsprechendem Bedarf alle Anforderungen im GMP-Bereich. Ein Highlight aus dem Bereich Industrie 4.0 ist unser Dashboard, auf dem wir Daten visualisieren, die wir zuvor mit unseren Bosch-Lösungen aus Maschinen ausgelesen und in einer Datenbank zur Verfügung gestellt haben. Das betrifft beispielsweise das Condition Monitoring, also das Überwachen von Zuständen oder Energieströmen und geht bis zum Erfassen von notwendigen Wartungsaufgaben. Es hilft dem Bediener einer Maschine, auftretende Störungen entsprechend schnell in den Griff zu bekommen oder gar zur verhindern. Dieses Konzept zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Bosch-Stand. Ziel ist es, unseren Kunden Technologien und Lösungen zu bieten, mit denen sie ihre Produktion optimieren können. Dabei profitieren wir maßgeblich vom Know-how innerhalb der Bosch-Gruppe.
Für besondere regulatorische Anforderungen bieten wir den Pharmazeuten unser Bosch Pharma Manufacturing Execution System, kurz MES, um die Komplexität in der Fertigung zu reduzieren und den Weg hin zur papierlosen Produktion zu ebnen. Der Kunde kann so den Produktionsprozess vom Auftragseingang über SAP bis hin zur Batch-Freigabe begleiten. Hier werden zum Beispiel Aufgaben für den Operator angelegt, die Schritt für Schritt erledigt und digital abgezeichnet werden. Dadurch entfällt die Papierdokumentation, die bislang immer in einer Mappe mit dem Produkt mitgegeben wurde. Das System erfüllt die gesetzlichen Anforderungen, es ist voll validierbar und die Daten sind sicher gespeichert.
Unser drittes Industrie 4.0-Highlight dreht sich um Data Analytics. Man sammelt im Laufe des Produktionsprozesses eine unglaublich große Menge an Daten, die bislang aber nicht genutzt werden. Dieses Potential wollen wir ausschöpfen. Dabei können wir Datenexperten innerhalb der Bosch-Gruppe hinzuziehen und unseren Kunden dabei helfen, einen größeren Mehrwert aus ihren Daten herauszuholen und zum Beispiel Prozessprobleme schneller und nachhaltiger zu lösen .
pharmaindustrie-online.de: Die Vorschriften in der Pharmaindustrie werden immer strenger, ein Beispiel ist die EU-Fälschungsschutzrichtlinie. Prozesse zur Validierung und Rückverfolgbarkeit von Medikamenten müssen sauber dokumentiert werden. Wie unterstützt Bosch hier die Pharmaunternehmen?
Bosch hat für das Thema Track & Trace die CPS/CPI-Module im Portfolio, die in der Lage sind, länderspezifische regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Die CPS-Module sorgen dafür, dass die Verpackungen mit den entsprechenden Codes und – falls erforderlich – mit Unversehrtheitssiegeln ausgestattet sind, während die CPI Software die Maschinen mit der Unternehmens-IT vernetzt und so die Generierung und Weitergabe der Serialisierungscodes an Datenbanken ermöglicht. Dabei sind wir auf die unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen für Pharmaproduzenten in den jeweiligen Ländern eingerichtet, können aber auch Lohnfertigern helfen, ihre Kunden mit serialisierten Verpackungen adäquat und konform zu beliefern.
pharmaindustrie-online.de: Auf der Pharmabranche lastet ein gewaltiger Kostendruck. Eine effiziente Produktion spielt hier eine Schlüsselrolle. Wie sieht es mit Lösungen Ihrerseits aus, die für Ihre Pharmakunden die Kosten im Produktionsbereich senken können?
Um die Kosten senken zu können, benötigt man zunächst einmal Transparenz über das, was in der Fertigung geschieht. Wir müssen die Kunden befähigen, die anfallenden Produktionsdaten aus den Geräten und Anlagen auszulesen und sie zu aggregieren, um die notwendige Transparenz schaffen zu können. Wenn man die OEE (=Gesamtanlageneffektivität; Anmerkung der Redaktion) verbessern möchte, muss man vorab Daten erheben und diese über die Zeit verfolgen. Nur so ist man in der Lage, eine Ausgangsbasis für Transparenz zu schaffen. Wir stellen fest, dass gerade diese häufig fehlt. Das macht es schwierig, einen Ansatzpunkt zu finden und Potentiale zu identifizieren, um überhaupt Kosten sparen zu können. Hier bieten wir mit unseren Lösungen Möglichkeiten an, um diese Daten zu erfassen und zu verarbeiten.
Ein weiterer Aspekt, um Kosten zu senken, ist das Thema Wartung. Jede Zeitspanne, in der sich eine Maschine in Wartung befindet, ist entgangener Ertrag. Unsere Lösungen erlauben effiziente Wartungsvorgänge für die Wartungsplanung durch die elektronische Bereitstellung der notwendigen Dokumente und Anweisungen vor Ort. So lassen sich Wartungsintervalle und damit nichtproduzierende Zeit verkürzen. Hier können wir den Kunden unterstützen, Zeit zu sparen, die Kosten zu reduzieren, um seinen Ertrag zu maximieren. Ein weiterer Vorteil ist die Flexibilität unserer Lösungen. Beispielsweise lassen sich Videos in den „Operations Assistant“, eine Anwendung die Bediener und Wartungspersonal bei den täglichen Aufgaben unterstützt, einpflegen. So können auch Best Practices unter den Kollegen geteilt werden. Die Wartungsvorgänge sind individuell anpassbar, mit der Zeit kann ein kundenspezifischer Wartungskatalog entstehen.
pharmaindustrie-online.de: Industrie 4.0 ist für Ihr Unternehmen ein immens wichtiges Thema. Bosch verfolgt diesen Ansatz in vielen Bereichen, sowohl intern als auch für seine Kunden hinsichtlich Produktivitätssteigung, Energieeffizienz und selbst bei Thema Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Können Sie unseren Lesern ein konkretes Beispiel vorstellen, wie Industrie 4.0 bei Ihnen zum Leben erweckt wird?
Industrie 4.0 ist dort besonders wichtig, wo datenbasiert ein Mehrwert geschaffen wird. Es steht und fällt mit der Verfügbarkeit von Daten. Es ist ein Schatz, den es zu heben gilt. Bei Bosch haben wir Gruppen, die sich ausschließlich mit dem Thema Datenanalyse befassen, z.B. unser „Bosch Center for Artificial Intelligence“ oder die zentrale Forschung und Vorausentwicklung. Hier dreht sich alles um komplexe Analysen, maschinelles Lernen und neuronale Netzwerke. Wir greifen auf dieses Wissen zu, wenn wir Problemlösungen für Kundenprojekte benötigen.
In einem konkreten Beispiel haben wir einem Kunden aus dem Pharmabereich schnell und effizient geholfen. Der Pharmazeut hatte zwei baugleiche Maschinen im Einsatz, auf denen er ein identisches Rezept verarbeitet hat, jedoch erhielt er unterschiedliche Ergebnisse. Auf einer Maschine war das Resultat zufriedenstellend und die Qualität wie erwartet, auf der andern eben nicht. Der Kunde versuchte fast ein Jahr lang, den Fehler selbst zu finden, leider ohne Erfolg. Per Fernzugriff erhielten wir die Leistungsdaten, die unsere Datenexperten der zentralen Forschung aus Palo Alto im Silicon Valley analysierten. Innerhalb von nur fünf Tagen war die Ursache gefunden: Es gab einen Kausalzusammenhang zwischen einem Sensor, der nach einer Kalibrierung nicht wieder richtig eingebaut wurde, und dem fehlerhaften Ergebnis in der Produktion.
Dieser Sensor musste nur verschoben werden und das Prozessproblem war gelöst. Dabei kamen viele Aspekte für die Problemlösung zusammen: Daten, Remote-Zugriff, Produktionseffizienz. Das Zusammenspiel aus Prozesswissen des Kunden, unserem Maschinen Know-how und dem Analysewissen unserer Datenexperten - das war gelebte Industrie 4.0 in Reinkultur.
pharmaindustrie-online.de: Augmented Reality hält Einzug in die verschiedensten Industriebereiche. Ganze virtuelle Fabriken lassen sich schon über Datenbrille besichtigen. Was hat Bosch in diesem Bereich zu bieten?
Wir beschäftigen uns sowohl mit „virtual“ als auch mit „augmented Reality“ und zeigen hier Prototypen, genauso wie bereits beziehbare Produkte. So kann man bei Trainings an einer virtuellen Maschine arbeiten. Hinsichtlich augmented Reality, bei der die Realität angereichert wird durch computergenerierten Inhalt, zeigen wir auf der Interpack beispielsweise, wie man die betroffenen Komponenten zur Wartung schnell lokalisieren kann. Wenn man vor einer Anlage steht und wissen möchte, wo eine bestimmte Komponente ist, können wir mit einem Tablet oder einer AR-Brille auf die Maschine blicken. Das gesuchte Teil wird eingeblendet und der entsprechende Bereich identifiziert. Auch für Formatteilwechsel kann augmented Reality eingesetzt werden. In all diesen Bereichen – Trainings, Wartung, unterstützte Formatwechsel – zeigen unsere Kunden reges Interesse.
pharmaindustrie-online.de: Ihr Arbeitsbereich „Connected Industry“ ist noch relativ jung und geprägt von neuer Technik, die kontinuierlichem Fortschritt unterliegt. Wenn man sich den ganzen Tag im Büro mit innovativen Ideen beschäftigt – färbt das bei Ihnen auch auf den Alltag zuhause ab – sozusagen Privatleben 4.0 mit allen technischen Raffinessen?
Industrie 4.0 auf zuhause angewendet ist wohl am ehesten „smart home“ - wo ich bis auf den intelligenten Rauchmelder und die vernetzte Photovoltaik-Anlage noch den Markt beobachte. Aber im Kommunikationsbereich setze ich sehr auf digitale Tools wie Messenger oder GPS-basierte Dienste übers Smartphone. Ich bin zum ersten Mal in Düsseldorf und ohne mein Handy wüsste ich nicht, wo ich abends essen gehen sollte. Oder zu Bergtouren schleppe ich schon lange keine Wanderkarten mehr mit, sondern lade mir die Route vorab auf das Handy herunter und lasse mir über die Smartwatch anzeigen, wo lang der Weg zum Gipfel führt.
Wenn wir die neuen Möglichkeiten im Privatbereich mit einer Produktionsmaschine vergleichen, geht es in beiden Bereichen darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Industrie 4.0 ist ein Hilfsmittel für uns Menschen, um die Arbeit zu erleichtern und bessere beziehungsweise schnellere Entscheidungen zu treffen. Auch wenn Maschinen immer schlauer werden, besitzt doch der Mensch die Intelligenz. Und das sehe ich auch im Privaten. Wie auch im Geschäftsleben ist mir wichtig, diese Technologien mit Augenmaß zu benutzen. Nicht jede Lösung bringt einen weiter. Aber moderne Lösungen können helfen, sich ständig zu verbessern, um sich sein Leben einfacher zu gestalten.
pharmaindustrie-online.de: Herr Hanisch, wir danken Ihnen für diesen spannenden Exkurs in die Welt von Industrie 4.0!
Über Dr. Christian Hanisch
Der 38-jährige, promovierte Chemie-Ingenieur ist 2009 mit einem Einstieg über das Trainee Programm in Forschung und Entwicklung zu Bosch gekommen. Danach absolvierte er eine Zwischenstation bei Bosch Solar Energy und ist seit 2013 bei Bosch Packaging Technology – seit kurzem als Projektleiter für Industrie 4.0 speziell für den Produktbereich Pharma zuständig. Der gebürtige Ulmer ist verheiratet und Vater von drei Kinder. Privat tauscht er seine Büroschuhe gerne gegen feste Wanderstiefel und wandert mit der Familie im Bregenzer Wald.