IG BCE zur Corona-Krise: Produktion wichtiger Wirkstoffe muss zurückgeholt werden

Produktion wichtiger Arzneiwirkstoffe muss zurückgeholt werden nach Deutschland und in die EU

Zum Treffen der Wirtschaftsminister zur Corona-Krise fordert die IG BCE Politik und Pharmakonzerne zum schnellen Umsteuern auf. „Die aktuelle Situation dürfte die Lieferengpässe in der Arzneimittelversorgung noch verschärfen“, fürchtet der Vorsitzende der für die Pharmabranche zuständigen Gewerkschaft, Michael Vassiliadis. Deutschland und Europa hätten sich in den vergangenen Jahren bei zentralen Grundstoffen und Nachahmerpräparaten sehenden Auges in eine gefährliche Abhängigkeit von wenigen Lieferanten in China oder Indien begeben. „Die Lehre aus dieser Krise muss lauten: die wichtigsten Wirkstoffe und Abhängigkeiten identifizieren, Produktion nach Deutschland und in die EU zurückholen, Versorgungssicherheit und gute Arbeit schaffen.“

Die Pharmabranche habe zu lange auf Gewinnmaximierung und Konzentration gesetzt, kritisierte Vassiliadis. Einfachere Wirkstoffe und Produktion seien aus Deutschland in Niedriglohnländer oder an internationale Lieferanten ausgelagert worden - obwohl die Löhne in kaum einem Industriezweig hierzulande einen so geringen Anteil am Umsatz hätten wie im Pharmabereich. Komplette Arznei-Lieferketten hingen inzwischen von wenigen Lieferanten ab. „Es kann nicht sein, dass die einstige Apotheke der Welt heute bei Blutdrucksenkern, Schmerzmitteln oder Antibiotika auf andere angewiesen ist.“ Der IG-BCE-Vorsitzende erinnerte daran, dass dutzende für Deutschland versorgungsrelevante Wirkstoffe aus der chinesischen Provinz Hubei kommen, in der das Corona-Virus erstmals auftrat und dass Indien gerade den Export diverser Medikamente und Wirkstoffe - darunter etwa Paracetamol - eingeschränkt hat, um sie zunächst für die Versorgung der eigenen Bevölkerung zurückzuhalten.

„Das alles sind Alarmsignale, die unsere Politiker aufschrecken müssen“, sagte Vassiliadis. Die Bundesregierung müsse ihr Verständnis der Branchen und Technologien erweitern, die sie aus nationalem politischen Interesse im Land halten wolle. „Wir brauchen eine zentrale Liste von Wirkstoffen, deren Produktion wenigstens innerhalb der EU sichergestellt sein muss.“ Vassiliadis unterstützte in dem Zusammenhang einen Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die Abhängigkeit von China und anderen Ländern in der Arzneimittel-Produktion zu überprüfen. Das Thema gehöre auch auf den Tisch der Wirtschaftsminister von Bund und Ländern, die diesen Dienstag tagen.

Gleichzeitig begrüßte der IG-BCE-Vorsitzende die im Koalitionsausschuss vereinbarten Regelungen zur kurzfristigen Abfederung konjunktureller Folgen der Corona-Krise. Denn Lieferengpässe drohten aufgrund von Produktionsausfällen in China auch in weiteren Branchen. „Die Erweiterung der Kurzarbeit hat uns schon in anderen Ausnahmesituationen wie der Finanzkrise 2008/2009 geholfen“, so Vassiliadis. Die wirtschaftlichen Folgen des Virus träfen Deutschland in Zeiten einer ohnehin fragilen konjunkturellen Lage und großer Herausforderungen durch Digitalisierung und Transformation. „Unsere strukturellen Schwächen treten dadurch offen zu Tage“, sagte der IG-BCE-Vorsitzende. Ein reines Konjunkturprogramm würde in dem Zusammenhang wenig helfen. „Wichtiger ist eine passgenaue Investitionsoffensive, die den Industriestandort fit macht für die Transformation.“