
Pharmaunternehmen stehen vor der Herausforderung, regulatorische Anforderungen zu harmonisieren und eine durchgängige Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte sicherzustellen. Die Identifikation von Arzneimitteln (IDMP - Identification of Medicinal Products) ist ein zentraler Bestandteil regulatorischer Initiativen zur Verbesserung der Transparenz, Sicherheit und Nachverfolgbarkeit von Medikamenten. In einer Branche, in der Datenfragmentierung und regulatorische Änderungen eine große Rolle spielen, ist ein effizientes Datenmanagement unerlässlich.
Die erfolgreiche Umsetzung von IDMP erfordert ein durchdachtes Konzept für Stammdatenmanagement (MDM; Master Data Management) sowie eine robuste Infrastruktur für die Erfassung, Verwaltung und Bereitstellung regulatorisch relevanter Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Mit der jüngsten EU-Omnibus-Verordnung 2025 wurden neue Vorschriften für die Harmonisierung von Arzneimitteldaten und deren Integration in nationale und EU-weite Systeme eingeführt.
Dieser Artikel beleuchtet sechs zentrale Erfolgsfaktoren für die Implementierung eines IDMP-konformen Datenmanagements.
1. Was IDMP ist und warum es wichtig ist
IDMP ist ein von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und der International Organization for Standardization (ISO) entwickelter Standard zur Vereinheitlichung der Datenstruktur von Arzneimitteln. Ziel ist es, regulatorische Informationen über Arzneimittel auf eine einheitliche Weise darzustellen, um die Patientensicherheit zu erhöhen, Prozesse zur Pharmakovigilanz zu verbessern und den globalen Informationsaustausch zu erleichtern.
IDMP setzt sich aus mehreren ISO-Normen zusammen, darunter:
- ISO 11615: Definiert die strukturierte Erfassung von Arzneimittelinformationen, wie Handelsname, Zulassungsnummer und Haltbarkeitsdaten
- ISO 11616: Beschreibt die pharmazeutischen Produktinformationen, einschließlich Darreichungsform und Zusammensetzung
- ISO 11238: Beinhaltet Daten zu Substanzen und deren Eigenschaften, etwa die chemische Struktur eines Wirkstoffs
- ISO 11239: Standardisiert Dosierungsformen, Verpackungen und Administrationswege
- ISO 11240: Legt Maßeinheiten fest, wie Milligramm oder Milliliter für Dosierungen
Ein Pharmaunternehmen, das ein Schmerzmittel in verschiedenen Stärken und Verpackungsgrößen vertreibt, muss also sicherstellen, dass diese Daten gemäß den ISO-Standards erfasst und einheitlich bereitgestellt werden. Mit der EU-Omnibus-Verordnung 2025 wurde zudem festgelegt, dass alle pharmazeutischen Unternehmen ihre IDMP-Daten standardisiert in den EU-zentralisierten Datenbanken hinterlegen müssen, um die Transparenz und Interoperabilität zwischen den verschiedenen Behörden und Herstellern zu verbessern.
2. Zielsetzung von IDMP
Die Implementierung von IDMP ermöglicht eine einheitliche Verwaltung regulatorischer Informationen über verschiedene Länder und Behörden hinweg. Es hilft Pharmaunternehmen, ihre Datenqualität zu verbessern, Redundanzen zu vermeiden und regulatorische Compliance zu gewährleisten.
Darüber hinaus unterstützt IDMP:
- Pharmakovigilanz: Sorgt für eine bessere Sicherheit durch schnellere Identifikation von Arzneimittelrisiken. Dies ermöglicht etwa frühzeitige Warnungen und Rückrufe.
- Produkttransparenz: Vereinfacht die Nachverfolgbarkeit entlang der gesamten Lieferkette und verhindert Fälschungen und erleichtert Marktrückrufe.
- Effizientere Zulassungsprozesse: Standardisierte Daten reduzieren Verzögerungen bei regulatorischen Freigaben und beschleunigen Markteinführungen.
Ein Hersteller von Biopharmazeutika kann beispielsweise durch IDMP-Daten schneller auf Sicherheitsbedenken reagieren, indem er betroffene Chargen eindeutig identifiziert und an Behörden meldet.
Die Omnibus-Verordnung 2025 erweitert zudem die Anforderungen an die Datenverfügbarkeit und setzt verstärkt auf die Nutzung von Cloud-basierten Lösungen zur Speicherung und Verteilung regulatorischer Arzneimitteldaten.
3. Wer von IDMP betroffen ist
Pharmahersteller, Auftragsentwickler (CDMOs; Contract Manufacturing Organizations), Zulassungsbehörden und andere Akteure der pharmazeutischen Wertschöpfungskette sind direkt von IDMP betroffen. Da sich der Standard auf alle in der EU zugelassenen Arzneimittel erstreckt, müssen sowohl große Pharmaunternehmen als auch kleinere Biotech-Firmen ihre Systeme entsprechend anpassen.
Besonders betroffen sind Unternehmen, die Arzneimittel für mehrere Märkte herstellen, da IDMP die Harmonisierung und Integration globaler regulatorischer Anforderungen erleichtert.
4. Auswirkungen auf Pharmaunternehmen
Die Umsetzung von IDMP bringt erhebliche organisatorische und technologische Herausforderungen mit sich. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Systeme in der Lage sind Produktinformationen strukturiert zu erfassen und zu verwalten, Stammdaten über Substanzen, Verpackungen und Dosierungen präzise zu organisieren, sowie regulatorische Änderungen kontinuierlich nachzuverfolgen und zu integrieren.
Ein zentraler Erfolgsfaktor ist ein leistungsfähiges Master Data Management-System, das den gesamten Produktlebenszyklus, von der klinischen Entwicklung über die Zulassung bis zur Marktrücknahme, digital abbildet und orchestriert. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Daten mit nationalen und internationalen Gesundheitsbehörden zu synchronisieren und die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen wie ERP, RIM (Regulatory Information Management) und PIM (Product Information Management) und der SPOR-Schnittstelle (Stoff-, Produkt-, Organisations- und Referenzdaten) der EMA zu gewährleisten.
Die kontinuierliche Pflege und Aktualisierung von IDMP-Daten, wie sie durch jüngste regulatorische Vorgaben notwendig ist, setzt ein agiles und dynamisches Datenmanagementsystem voraus, das Änderungen effizient abbilden kann.
5. Die Rolle von Stammdaten im IDMP-Ökosystem
Pharmaunternehmen stehen vor der Herausforderung, komplexe und oft verstreute Datenquellen in eine kohärente Struktur zu überführen. Ein effektives Stammdatenmanagement (MDM) ermöglicht:
- Die Verknüpfung und Harmonisierung aller relevanten regulatorischen Daten über Produktnamen, Formulierungen, Zulassungen und Verpackungen.
- Die Einhaltung von IDMP-Standards durch automatisierte Validierungen und Qualitätsprüfungen.
- Die Interoperabilität zwischen IDMP und anderen regulatorischen Rahmenwerken wie SPOR (Substance, Product, Organization, Referential), UDI (Unique Device Identification) und EudraVigilance.
Ein Multidomain-MDM-Ansatz, also die konsolidierte Verwaltung von Produkt-, Substanz- und Organisationsdaten in einem zentralen System, kann Unternehmen dabei unterstützen, IDMP effizient in ihre bestehende IT-Landschaft zu integrieren, indem er Produkt-, Substanz- und Organisationsdaten in einer zentralen Quelle verwaltet und eine durchgängige Datenqualität sicherstellt.
6. Die Rolle von Agentic AI für das Stammdatenmanagement
Mit der zunehmenden Komplexität regulatorischer Anforderungen und der wachsenden Datenmenge in der pharmazeutischen Industrie wird auch Agentic AI, also KI-Systeme, die eigenständig Aufgaben initiieren, priorisieren und ausführen können, immer wichtiger. Diese Systeme gehen über die klassische Automatisierung hinaus, indem sie proaktiv handeln, Entscheidungen vorschlagen und sich an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.
Im Kontext von IDMP und MDM eröffnet Agentic AI neue Möglichkeiten, wie Mitarbeitende auf hochwertige, konforme und stets aktuelle Daten zugreifen können:
- Intelligente Datenverfügbarkeit: Agentic AI kann relevante regulatorische Informationen aus dem MDM-System kontextbezogen bereitstellen, etwa bei der Erstellung von Zulassungsdokumenten oder der Vorbereitung von Audits. Mitarbeitende müssen nicht mehr manuell nach den richtigen Datensätzen suchen, sondern erhalten automatisch Vorschläge basierend auf ihrer Rolle, Aufgabe und dem aktuellen Projektstatus.
- Proaktive Datenqualitätssicherung: Durch kontinuierliche Überwachung erkennt Agentic AI Inkonsistenzen, veraltete Einträge oder fehlende Verknüpfungen in den Stammdaten und initiiert automatisch Korrekturprozesse oder schlägt diese vor. So wird die Einhaltung von IDMP-Standards nicht nur sichergestellt, sondern aktiv gefördert.
- Wissensvernetzung und Entscheidungsunterstützung: Agentic AI kann regulatorische Anforderungen, historische Daten und externe Quellen (etwa EMA-Datenbanken) miteinander verknüpfen, um fundierte Handlungsempfehlungen zu geben, etwa bei der Einführung eines neuen Produkts oder der Anpassung bestehender Zulassungen.
Durch die Integration von Agentic AI in das MDM-Ökosystem wird nicht nur die Datenqualität verbessert, sondern auch die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Daten für alle Beteiligten erhöht. Dies fördert eine datengetriebene Unternehmenskultur, in der regulatorische Compliance, Effizienz und Innovationsfähigkeit Hand in Hand gehen.
Fazit: Jetzt handeln, um IDMP-Anforderungen zu erfüllen
Die regulatorischen Anforderungen im Pharma-Sektor entwickeln sich ständig weiter. Die Umsetzung von IDMP ist keine einmalige Initiative, sondern ein kontinuierlicher Prozess zur Verbesserung der Datenqualität und regulatorischen Compliance. Die EU-Omnibus-Verordnung 2025 setzt dabei neue Maßstäbe für Transparenz und Interoperabilität.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um eine durchdachte Datenstrategie für IDMP zu entwickeln und sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen nahtlos erfasst, verwaltet und mit Behörden geteilt werden können. Mit der richtigen MDM-Plattform können Pharmaunternehmen IDMP nicht nur erfolgreich umsetzen, sondern auch ihre Prozesseffizienz und Markteinführungszeiten verbessern.
Hintergrund zum Autor
Christian Farra
Director & Practice Leader Data Supply Chain bei Informatica
Christian Farra ist ein international anerkannter Fachmann für Datenmanagement und arbeitet als Director & Practice Leader Data Supply Chain in Retail and Manufacturing beim Datenmanagementspezialisten Informatica. Im Bereich der Lieferkette treibt er durch Master Data Management (MDM), Data Governance (DG), Datenintegration (DI) und künstliche Intelligenz (KI) die Go-to-Market-Strategie von Unternehmen voran und bewirkt so erhebliche Geschäftsumwandlungen. Im Mittelpunkt steht für ihn der Aufbau einer interdisziplinären Community of Practice, die die Fachkenntnisse aus Vertrieb, Marketing und den Produktteams mit denen der Kunden und Partner verbindet.
Er ist seit 2013 bei Informatica, wo er mehrere Positionen im Presales durchlief. Vorher war er neun Jahre bei der Heiler Software AG tätig, die im Oktober 2012 von Informatica übernommen wurde. Er hält ein Informatik-Diplom der Hochschule Furtwangen sowie einen MBA International Management & Innovation des Steinbeis Center of Management and Technology.