Pharma-Talk mit Dr. Matthias Schulze von Coherent über Photonik in der Pharmaindustrie

„Vom Reagenzglas zum Patienten“

Dr. Matthias Schulze, Direktor Life Sciences bei Coherent

Im Pharmabereich ist Licht das begleitende Werkzeug: von der Forschung über die klinische Implementierung pharmazeutischer Substanzen weiter zur Validierung in der Produktion bis hin zur Qualitätssicherung von Arzneimitteln. Das Thema Photonik hat die zwei Unternehmen Coherent und „II-VI“ vereint. Anfang Juli 2022 haben sie ihre Kompetenzen für Laserverfahren und optische Telekommunikationslösungen unter dem gemeinsamen Namen Coherent gebündelt. pharmaindustrie-online.de sprach mit Dr. Matthias Schulze, Direktor Life Sciences bei Coherent, über den Mehrwert dieser Fusion für die Pharmakunden wie beschleunigte Arzneimittelentwicklung und Kostensenkung. Aber er stellt auch der positive Beitrag für Patienten mit schweren Erkrankungen wie Parkinson oder Krebs vor, der das Leben von Betroffenen verbessert oder gar erst das Weiterleben ermöglicht.

Herr Dr. Schulze, Coherent und II-VI haben sich kürzlich zu einem Konzern zusammengeschlossen. Was bringt die Fusion dieser beiden Großunternehmen den Anwendern in der Pharmaindustrie als Mehrwert?

Mit dem Zusammenschluss von II-VI (Two Six – Anmerkung Redaktion) und Coherent in diesem Jahr ist das umfangreichste Portfolio in der Photonik in Bezug auf Materialien, Optik, Lasersysteme und thermoelektrische Lösungen entstanden. Auch wenn II-VI der größere Konzern war, hat das neue Unternehmen den Namen Coherent erhalten. Von Komponenten über integrierte Subsysteme bis hin zu Engine-Lösungen aus einer Hand unterstützen wir die Gerätebauer bei der kostengünstigen und schnellen Weiterentwicklung für die Pharmaindustrie. Dies bringt Innovation in der Arzneimittelentwicklung voran.

Wir begleiten Kunden und helfen ihnen, Kosten zu senken. Dank unserer Größe können wir unsere Produkte kostengünstig und volumenverlässlich anbieten. Unsere Kunden erhalten passende Lösungen zu guten Preisen und Geräte mit Mehrwert. Davon profitieren sowohl Gerätebauer als auch Pharma- und Biotechunternehmen. Lassen Sie mich das am konkreten Beispiel PCR-Systeme kurz erläutern. Hinter der Abkürzung PCR steckt die Polymerase Kettenreaktion. Mit deren Hilfe werden gewünschte DNA-Abschnitte sequenziert. Im PCR-Verfahren werden nämlich thermische Zyklen gefahren, um DNA zu trennen, aufzulösen und wieder anzureichern. Die Kombination von Komponenten des optischen Bereichs und den thermoelektrischen Produkten aus der Expertise von II-IV sorgt für Beschleunigung. Für die optische Anregung kommen LEDs zum Einsatz. Laser hingegen spielen eine entscheidende Rolle in der Zytometrie. In diesem Bereich kommt der Industriestandard aus dem Hause Coherent. Mehrwellenlängenlösungen beschleunigen hier die Entwicklung neuer Gerätegenerationen, machen sie zugleich kompakter und sparen Kosten.

Gibt es Anwendungsbereiche, die davon besonders profitieren?

Hier sehe ich vor allem Anwendungen aus dem Spektrum der Infektionskrankheiten oder Onkologie im Fokus. Eine prominente Anwendung ist die Covid-19-Infektion. Wenn Mediziner verstehen wollen, wie das Virus im menschlichen Körper agiert, um wirksame Medikamente dagegen zu entwickeln, werden die Laserkomponenten einsetzt. Aus der Analyse des Blutbildes von Patienten lassen sich eine Menge Informationen gewinnen. Die Charakterisierung und Auszählung von T-Zellen und weißen Blutkörperchen erfolgt mit der optischen Methode der Zytometrie. Coherent bringt die Expertise auf Komponentenlevel bis hin zu Engine-Lösungen auf Geräteintegrationsbasis dazu.

Unserer Kunden aus dem Bereich Biotechnologie arbeiten in einem hochintensiven Wettbewerbsumfeld. Kosten und Schnelligkeit sind die entscheidenden Faktoren. Als Partner hören wir ihnen genau zu und bieten Lösungen, die genau ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechen. Unser Unternehmen als Kombination der „alten Coherent“ und II-IV ist nicht nur für den Pharmabereich breit aufgestellt, sondern auch in der Medizintechnik und der medizinischen Therapie. Vieles im Bereich der laser-optischen Therapie wird von Coherent bedient. Sowohl die Biotechnologie als auch die Medizin inspirieren sich hier gegenseitig.

Auch die Validierung und Qualitätssicherung profitiert vom Zusammenschluss. Im ersten Schritt benötigen Forscher für die Entwicklung neuer pharmazeutischer Substanzen Unterstützung, um deren Wirkprinzip und Wirksamkeit im menschlichen Körper zu verstehen. Wenn das erfolgreich war, soll die Substanz verlässlich produziert werden. Um diese Prozesse zu validieren, kommt die Raman-Spektroskopie zum Einsatz. Über diese optische Methode erfolgt die Qualitätssicherung der pharmazeutischen Produktion. Auch noch einen Schritt weiter, wenn Medikamente bereits in Apotheken auf ihren Verkauf warten, helfen Laserverfahren, vor minderwertigen Plagiaten zu schützen. Hier lassen sich Raubkopien von Arzneimitteln mit ramanspektroskopischen Methoden von Originalen unterscheiden, indem man die Signaturen der pharmazeutischen Substanzen charakterisiert.

Gibt es einen besonderen Schwerpunkt auf personalisierten Therapien, welchen das neue Unternehmen verfolgen wird?

Antikörpertherapien gegen Krebs sind ein großer Schwerpunkt, weil personalisierte, also individuelle, Antikörper Patienten Hoffnung geben können, die Krankheit zu überleben. Dafür werden Zellen wie T-Lymphozyten extrahiert, modifiziert und zurückinjiziert. Mit diesem Schritt wird das Blutsystem befähigt, gezielt gegen den Tumor vorzugehen. Und es funktioniert tatsächlich. Hier kommen optische Methoden zum Einsatz. Die ganze Bioinstrumentierung wird voll ausgeschöpft. Zudem wird in Zukunft das Drucken von Zellen mit Lasersystemen eine entscheidende Rolle spielen. Die Forschergemeinschaft rechnet auf der diagnostischen und therapeutischen Seite mit wichtigen Durchbrüchen in den kommenden Jahren. Wir sprechen hier nicht von in zehn Jahren, sondern in sehr kurzer Zeit. Die Hoffnung besteht, in der nächsten Dekade den Krebs in vielen Fällen zu besiegen.

Im engen Austausch mit der pharmazeutischen Industrie engagieren wir uns, um technische Anforderungen besser zu verstehen und weiterführende Entwicklungen für Therapien von Krebs und Infektionskrankheiten zu unterstützen. Beschleunigte Prozesse und Studien sind von zentraler Bedeutung. Neue Wellenlängen im UV und IR-Spektrum finden Einsatz in den nächsten Gerätegenerationen für die Erprobung und Entwicklung von pharmazeutischen Substanzen. Sie beschleunigen deren Entwicklungen. So können wir von Coherent einen wichtigen Beitrag für die Menschheit leisten.

Warum erfährt das Thema eine besondere Bedeutung im Bereich neurologischer Erkrankung? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Die Neurologie ist ein wichtiger Forschungsbereich. Man hat heute dank der Multiphotonen-Mikroskopie deutlich mehr Möglichkeiten als noch vor zehn Jahren, um neurologische Zusammenhänge zu verstehen. Im November 2022 findet die Konferenz „Neuroscience“ in San Diego mit 35.000 Neurowissenschaftlern statt. Hier steht der Austausch über aktuelle Forschungserkenntnisse bei Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose im Mittelpunkt. Photonik hilft der Forschung, die Zusammenhänge noch besser zu erkennen und funktionierende Therapien zu entwickeln.

Ich engagiere mich in der deutschlandweiten Behindertensportgruppe für Ping Pong Parkinson. So habe ich in meinem Bekanntenkreis auch Menschen mit solchen Erkrankungen. Mir ist es ein Anliegen, diese Forschung voranzubringen. Die erzielten Fortschritte für neurologische Erkrankungen sind beeindruckend. Es tut gut, erkrankten Mitmenschen zu helfen und Fortschritte zu sehen. Das Wissen, dass unsere Laser einen wichtigen Beitrag dabei leisten, ihr Leben zu verbessern, erfüllt mich mit einem Glücksgefühl.

Herr Dr. Schulze, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!

Hintergrund über Dr. Matthias Schulze
Matthias Schulze ist in seiner aktuellen Funktion Direktor für Life Sciences bei Coherent. Bereits 1995 kam der begeisterte Wassersportler als Vertriebs-Ingenieur ins Unternehmen. Er hat im Anschluss an seine Vertriebsaktivitäten unterschiedliche Positionen im Marketing in konzernweiter Verantwortung bekleidet. Dr. Schulze hat in Physik an der Technischen Universität in Berlin promotiviert und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in der Hauptstadt.
 

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