
Während die Nachfrage nach Impfstoffen stetig steigt und die Präparate immer komplexer werden, nimmt die Zahl der Impfstoffhersteller ab. Das britische Pharmaunternehmen Glaxo Smith Kline (GSK) mit Hauptsitz in London ist einer der wenigen verbliebenen Global Player. pharmaindustrie-online.de sprach im Rahmen einer Besichtigung in der weltweit größten Fertigungsanlage für Impfstoffe in Wavre (bei Brüssel) mit dem Produktionsleiter John McGrath über die Besonderheiten bei der Herstellung des neuen Gürtelrose-Impfstoffs „Shingrix“, den Stand der Umsetzung der neuen EU-Fälschungsschutzrichtlinie sowie die Bedeutung von Digitalisierung bei GSK.
1) pharmaindustrie-online.de: Herr McGrath, mit „Shingrix“ hat die Europäische Arzneimittel-Agentur in diesem Jahr zum ersten Mal einen Impfstoff für Erwachsene im Alter von über 50 Jahren gegen den Herpes Zoster Virus zugelassen. Dieser verursacht bei einem schwächer werdenden Immunsystem Gürtelrose. Wie wichtig ist das Produkt im Gesamtimpfstoffportfolio von GSK und welche Bedeutung hat die Zielgruppe "Ältere und Immunschwache" für ihr Unternehmen in der Zukunft?
Die weltweite Markteinführung von Shingrix verläuft äußerst gut, hauptsächlich aufgrund der beispiellosen Nachfrage nach dem Impfstoff in den USA. Wir erwarten, dass der Impfstoff eine Schlüsselrolle für das zukünftige Wachstum unseres Geschäfts spielt. Er ist ein Teil unseres Portfolios, das Menschen in verschiedenen Lebensaltern und Lebensstadien schützt. Unser Ansatz zur Lebenszyklus-Impfung basiert auf Impfungen im Kindesalter, die dazu beitragen, frühzeitig vor lebensbedrohlichen Krankheiten zu schützen. So wird die Grundlage für die Immunität gegen Krankheiten im späteren Leben geschaffen, die durch Impfung vermeidbar sind. Mit zunehmendem Alter lässt unser Immunsystem nach. So werden wir wieder anfälliger für lebensbedrohliche Krankheiten. Eine Impfstrategie für den ganzen Zeitraum von vor der Geburt bis hin zu sehr alten Erwachsenen kann helfen, Menschen vor schweren Krankheiten zu schützen. Und Shingrix ist ein wesentlicher Bestandteil dieses lebenslangen Ansatzes.
2) pharmaindustrie-online.de: In der pharmazeutischen Produktion liegt der Fokus auf Qualitätsmanagement und Qualitätskontrolle. Können Sie einige Besonderheiten bei der Herstellung des Impfstoffs erklären?
Der wichtigste Aspekt vorab: Wir injizieren Wirkstoffe in gesunde Menschen, insbesondere in Millionen von gesunden Babys, die auch gesund bleiben sollen. Daher sind Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung bei der Herstellung von hochkomplexen Impfstoffen von entscheidender Bedeutung. Unsere Risikotoleranz ist Null. Wir können keine Risiken eingehen. Daher wenden wir 70 Prozent unserer gesamten Produktionszeit für Qualitätsprüfungen auf. So stellen wir sicher, dass ein Impfstoff für die jeweilige Anwendung absolut geeignet ist. Je nach Impfstoff kann der Produktionszyklus also sechs bis 24 Monate beanspruchen. Wenn es sich um einen multivalenten Impfstoff wie einen sechsfachen Wirkstoff handelt, dauert es rund 24 Monaten. Wenn wir von einem einfachen Impfstoff wie gegen Hepatitis reden, sind es eher sechs Monate.
Der Gürtelrose-Impfstoffs basiert auf dem am häufigsten vorkommenden Oberflächeneiweiß des eigentlichen Virus, des Varizellen-Zoster-Virus. Wir verwenden nicht den ganzen abgetöteten oder gar den lebenden Virus, sondern nutzen nur einen kleinen Teil davon. Das spezifische Oberflächeneiweiß, das Antigen, wird rekombinant hergestellt. In Nährlösung lassen wir aus dem genetischen Konstrukt das Protein wachsen, auf das später das Immunsystem entsprechend reagieren soll. Um ein wenig stärker ins Detail zu gehen: Die Zellen vermehren sich und produzieren dann das Antigen. Dieses extrahieren wir und selektieren es aus der Masse der vielen anderen Proteine heraus, bis es zu über 99 Prozent rein ist. Zum Schluss werden die Ausgangsstoffe in einem mehrstufigen Verfahren so aufbereitet, dass sie in erforderlicher Menge als gefriergetrocknetes Antigen und für die anschließende Abfüllung als Wirkverstärker-Suspension zur Verfügung stehen.
3) pharmaindustrie-online.de: Beim Thema Qualitätskontrolle geht es sicher auch darum, menschliche Fehler auszuschließen. Welche Rolle spielt Digitalisierung oder Industrie 4.0 in der Produktion?
Das hängt von den Prozessen ab. Einige unserer Prozesse sind seit 20 Jahren weitgehend unverändert, so dass die Digitalisierung dort hauptsächlich darauf abzielt, wie wir testen, Daten sammeln, diese analysieren und sie speichern. Für einige unserer neueren Prozesse wollen wir mehr Digitalisierung schaffen, etwa deutlich mehr Online-Überwachung, Online-Tests und Computeralgorithmen, die Entscheidungen darüber treffen, was normal oder vielleicht nicht im Trend ist und über das Ziel hinausschießt.
Dies wird auch im Produktionsbereich geschehen und erfordert Investitionen in Neuinstallationen. Auch führen wir Diskussionen über Dinge wie künstliche Intelligenz, vor allem wo diese sinnvoll eingesetzt werden kann. Für mich wird dabei die Datenanalyse eine zentrale Rolle spielen. Wir müssen Big Data in Smart Data verwandeln, da wir in unseren Prozessen riesige Datenmengen generieren. Die Frage ist, welche Schätze können wir daraus heben. Mit welchen Daten schaffen wir es, unsere Prozesse besser zu kontrollieren und möglicherweise sogar Impfstoffe schneller zu entwickeln. Außerdem könnten wir Energiesparpotentiale aufdecken und den Ertrag für einen Impfstoffprozess optimieren. Ich denke also, dass die Daten ein großes Potential beherbergen.
4) pharmaindustrie-online.de: Die Umsetzungsfrist für die Fälschungsschutzrichtlinie 2011/62/EU sowie der delegierten Verordnung (EU) 2016/161 endet bald. Ab dem 09.02.19 sind verifizierungspflichtige Arzneimittel nur noch mit zwei Sicherheitsmerkmalen für den Verkehr freigegeben. Wie hat sich GSK Bio insgesamt und konkret bei Shingrix darauf vorbereitet?
Wir haben uns auf die neuen EU-Verordnungen vorbereitet und werden rechtzeitig zum Inkrafttreten fertig sein. Die europäische Richtlinie regelt sehr klar, was Hersteller und Händler leisten müssen. Derzeit müssen wir unsere Vorgehensweise von Land zu Land anpassen, weil viele Endabnehmer noch nicht so weit sind. Aktuell gibt es viele zusätzliche länderspezifische Anforderungen. Ich gehe fest davon aus, dass GSK bis zum Inkrafttreten der Richtlinie im Februar bereit ist. Der gesamte Prozess wird jedoch nicht so sein, wie ursprünglich gedacht. Die Nummer wird auf der Injektionsseite dann stillgelegt und der Rest der Lieferkette ist noch nicht fertig.
Auch haben wir intensiv in unsere Verpackungslinien investiert, um sicherzustellen, dass wir unsere Serialisierungsnummern korrekt anbringen. Jetzt investieren wir in den Umgang mit unseren Daten. Es wird eine Vielzahl von Dokumenten generiert, die wir auf unsere europäischen Websites hochladen müssen. Wir müssen also sicherstellen, dass alles verlässlich, sicher und akkurat funktioniert.
5) pharmaindustrie-online.de: Zum Abschluss möchten wir Sie - als echten Globetrotter - nach Ihrer privaten Meinung fragen. Sie sind gebürtiger Ire und beruflich waren Sie lange Jahre in UK, USA, Schweiz unterwegs und sind nun in Belgien. Welches dieser Gesundheitssysteme – auch mit Bezug auf die lokalen Impfregelungen – können Sie empfehlen?
Ich habe einen 15-jährigen Sohn. Er hat die ersten neun Jahre seines Lebens in den USA verbrachte und ich fand das amerikanische Gesundheitssystem wirklich gut. Sie können das reguläre Schulsystem nicht ohne Impfung besuchen. Wenn Sie sich dort gegen die Standardimpfungen für ihr Kind entscheiden, kann es keine öffentliche Schule besuchen, weil hier Impfpflicht für Kinder besteht. Das gesamte System ist darauf ausgerichtet. Es ist ganz klar geregelt: Impfungen sind notwendig und die Schulen wissen sehr genau, welche Impfungen erforderlich sind. Natürlich wird die Impfung in Kinderarztpraxen durchgeführt. Die Regierung garantiert im Wesentlichen, dass alle Kinder geimpft werden, unabhängig davon, ob sie krankenversichert sind oder nicht. Ich kann nicht nichts über das Schweizer System sagen, weil wir dort keine Impfungen in Anspruch nehmen mussten, aber das belgische System ist auch ziemlich gut.
pharmaindustrie-online.de: Herr McGrath, wir danken Ihnen für die Einblicke in Ihre Produktion und das interessante Gespräch!
Hintergrund
Seit mehr als 20 Jahren ist John McGrath im Umfeld für biologischen Wirkstoffe tätig und hat verschiedenen technische und kaufmännische Positionen in Irland, England, in den USA, in der Schweiz und in Belgien bekleidet. Seine Erfahrungen konnte er in den Bereichen Herstellung, Prozesstechnik, Validierung, Betriebs- und Geschäftsführung sammeln. Er hat einen "Bachelor of Science“ Abschluss von der Dublin City Universität sowie einen MBA-Abschluss vom Babson College.