Interview: Anlagensicherheit in der Pharmaindustrie

Internationale Richtlinien effizient umsetzen

Mettler-Toledo Garvens

In der Pharmaindustrie sind verschiedene Vorschriften zum Schutz der Verbraucher und des Bedienpersonals im Einsatz. Bei der Umsetzung dieser Richtlinien stehen international agierende Arzneimittelhersteller vor einer kniffligen Aufgabe: Sie müssen neben länderspezifisch abweichenden Anforderungen auch die sich stetig wandelnde Gesetzeslage berücksichtigen. Im Interview erläutert Dirk Bettels, Senior Product Manager bei Mettler-Toledo Garvens, wie die Herausforderung zu bewältigen ist.

Herr Bettels, lassen Sie uns über das Thema Anlagensicherheit sprechen: Welche Richtlinien und Normen existieren in der Pharmaindustrie – und wen sollen sie schützen?

Generell werden in der Pharmaindustrie Normen zum Schutz der Endverbraucher und zum Schutz des Bedienpersonals eingesetzt. Eine wichtige Bedeutung im Bereich Verbraucherschutz kommt der Richtlinie 2011/62/EU zu. Sie fordert die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, Serialisierungsprozesse einzuführen, um so das Eindringen von Fälschungen in die legale Vertriebskette zu verhindern. Personalschutzseitig formulieren die europäische Norm EN 12100 und ihr US-amerikanisches Äquivalent ANSI B155-2011 allgemeine Leitsätze zur Beurteilung und Minderung von Risiken und unterstützen Konstrukteure bei der Herstellung bediensicherer Maschinen.

Worauf müssen Arzneimittelproduzenten bei der Umsetzung der verschiedenen Vorschriften achten?

Gerade global agierende Hersteller stehen vor der Herausforderung, dass die jeweils gültigen Standards von Land zu Land variieren können. So werden beispielsweise Arzneimittelverpackungen in den USA mit fortlaufenden Seriennummern versehen, während die Auswahl in Europa nach dem Zufallsprinzip erfolgt. Und maschinelle Maßnahmen zum Schutz des Bedienpersonals, die in Amerika Pflicht sind, gelten nicht notwendigerweise auch in China.

Bleiben wir zunächst beim Verbraucherschutz: Wie können internationale Medikamentenhersteller sicherstellen, dass sie die länderspezifischen Standards erfüllen?

Sie sollten Maschinen nutzen, die den aktuellen Richtlinien der Zielmärkte entsprechen – und sich bei Bedarf flexibel an zukünftige Standards anpassen lassen. Nehmen Sie zum Beispiel die Eingangs erwähnte Arzneimittelfälschungsrichtlinie 2011/62/EU: Sie verpflichtet alle EU-Mitgliedsstaaten bis 2017 dazu, Medikamente mit Sicherheitsmerkmalen zu versehen, die das eindeutige Prüfen und Nachverfolgen über alle Fertigungsstufen hinweg ermöglichen. Zu diesen Sicherheitsmerkmalen zählen neben Tamper-Evidence-Verfahren auch Kennzeichnungsmethoden wie 2D-Barcodes. Deren Umsetzung wird erst durch technische Lösungen zur Erzeugung der Seriennummern sowie durch Druck- und Kamerasysteme zur Erstellung und Verifizierung möglich.

Die mit der Arzneimittelfälschungsrichtlinie verbundenen Anforderungen lassen sich also nur mit automatisierten elektronischen Systemen berücksichtigen?

Vollkommen richtig. Benötigt werden automatisierte elektronische Systeme, die zudem in der Lage sind, ein Datenmanagement aufrecht zu erhalten, das über alle Fertigungsstufen hinweg sicher und zuverlässig arbeitet, sprich: von der Erfassung der einzelnen Faltschachtel bis zur Aggregation der Einzeleinheiten auf Paletten sämtliche Bereiche des Verpackungsprozesses abdeckt. Automatisierte elektronische Systeme stellen außerdem sicher, dass sich mehrere Produktionslinien standortübergreifend an eine zentrale Datenbank anschließen lassen, die später als Basis für die Anfertigung der vorgeschriebenen Reports dient.

Welche Rolle kommt den Anlagenherstellern zu? Wie können sie Arzneimittelproduzenten bei der Umsetzung von Serialisierungsprozessen unterstützen?

Führende Anbieter stellen Arzneimittelherstellern skalierbare Serialisierungssysteme bereit, die sich passgenau an die jeweils vorherrschenden Bedingungen anpassen. Verfügt ein Unternehmen beispielsweise bereits über eine Kontrollwaage, eignen sich Stand-Alone-Lösungen mit integriertem Inkjet-Drucker und Kontrollkamera, etwa die XMV-Systeme von Mettler-Toledo, um die Produktionslinie gezielt um eine Serialisierungsmöglichkeit zu erweitern. Einen Schritt weiter gehen Komplettlösungen wie XS2 MV, die Wägen, Kennzeichnen und Verifizieren kombinieren, oder XS2 MV TE, das darüber hinaus mit einem Tamper-Evidence-Modul ausgestattet ist.

Und was können Anlagenhersteller in puncto Bediensicherheit der Maschinen tun, um den bestmöglichen Schutz des Personals zu gewährleisten?

Erfahrungsgemäß produzieren jene Hersteller die bediensichersten Maschinen, die sicherheitstechnische Aspekte an den Anfang des Konstruktionsprozesses stellen. Nur so lassen sich potenzielle Gefahrenstellen antizipieren und durch Modifikationen im Design oder abfedernde Gegenmaßnahmen sofort beheben. Damit das System global eingesetzt werden kann, ist es darüber hinaus wichtig, sich stets am striktesten Sicherheitsstandard zu orientieren. Mettler-Toledo setzt bei der Herstellung seiner Produktinspektionslösungen auf ein mehrköpfiges Team aus Entwicklern, Sicherheitsbeauftragten, Konstrukteuren sowie Qualitäts- und Produktmanagern, das alle maschinellen Komponenten noch in der Planungsphase einer detaillierten Gefahrenanalyse unterzieht. Die Heterogenität der Arbeitsgruppe stellt sicher, dass bei der Konstruktion der Systeme internationale Standards wie EN 12100 und ANSI B155-2011 berücksichtigt und mit weiteren relevanten Aspekten, wie der Ergonomie oder Markttauglichkeit, in Einklang gebracht werden. Auf diese Weise entstehen effiziente Maschinen, die sich von Anwendern sicher bedienen lassen – und die Verfügbarkeit der Produktionsanlage erhöhen.