Pharma-Talk mit Kai Sievert von BASF über die Bedeutung von Hilfsstoffen in Medikamenten

Vom Reagenzglas zum Patienten

Kai Sievert BASF

Kai Sievert ist seit Herbst 2015 Leiter der Einheit “Global Marketing & Innovation - Pharma Solutions“ bei BASF. Unter seiner Führung baut die BASF Lösungsplattformen in den Bereichen „Instant & Modified Release“, „Solubilization“, „Skin Delivery“ und „Softgels“ auf. Mit pharmaindustrie-online.de sprach er über die Rolle der verschiedenen Hilfsstoffe in Medikamenten sowie die neuen Lösungsansätze der BASF für die Pharmabranche und erklärte, wie unterschiedlich die Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen und Generika-Herstellern läuft.

pharmaindustrie-online.de: BASF hat sich 2015 neu als Lösungsanbieter für die Pharmaindustrie positioniert. Was steckt hinter dem Strategiewechsel und worauf legen Sie heute in Ihrem Bereich den Fokus?

Die Kernkompetenz der BASF liegt in der Chemie der Hilfsstoffe. Hier verbinden wir das Know-how um die Chemie mit dem Wissen rund um Technologie und Anwendung der Produkte und unsere Stärken in Forschung und Entwicklung, damit aus der Funktionalität der Hilfsstoffe gemeinsam mit den Wirkstoffen ein gutes Medikament wird. Unser Team von Pharmaexperten unterstützt Pharmakunden in der Entwicklung von effektiven und zuverlässigen Formulierungen und liefert so einen wichtigen Vorteil in diesem stark wettbewerbsgetriebenen Markt.

Hilfsstoffe spielen daher bei der Formulierung von Medikamenten eine wichtige Rolle: Sie sorgen entsprechend dafür, dass die Wirkstoffe erst dort im Körper ihre Wirkung entfalten, wo dies gewünscht ist – sie agieren also patienten- und anwendungsspezifisch. Darüber hinaus tragen Hilfsstoffe dazu bei, dass die Produktion von Medikamenten effizienter, robuster und kosteneffektiver gestaltet werden kann.

pharmaindustrie-online.de: Die Palette der Hilfsstoffe reicht von Beschichtungen über Füller, Bindemittel und Lösungsvermittler oder auch Tablettensprengmitteln. Das klingt sehr komplex. Warum reicht es nicht, einfach einen Wirkstoff in eine Tablette zu pressen?

Jedes Jahr produziert die pharmazeutische Industrie mehr als 1,3 Billionen Tabletten. Diese bestehen nicht nur aus dem eigentlichen Wirkstoff, sondern auch aus verschiedenen Hilfsstoffen. Binder beispielsweise halten die Tablette zusammen, Sprengmittel sorgen dafür, dass der Wirkstoff sofort freigegeben wird. Hilfsmittel sind auch notwendig, damit der Wirkstoff am richtigen Ort und zur richtigen Zeit vom Körper aufgenommen werden kann. Je nach Anforderung müssen sie formuliert und aufeinander abgestimmt werden. Eine Herausforderung ist die so genannte Bioverfügbarkeit. Waren die Wirkstoffmoleküle früher oft einfach aufgebaut und gut löslich, sind sie heute meist komplex und schwer löslich. Dadurch kann der menschliche Körper sie oft nur schwer aufnehmen, die Wirkung ist eingeschränkt. Mehr als 70 Prozent neu entwickelter Wirkstoffe sind davon betroffen. Hilfsstoffe und spezielle Produktionstechnologien helfen, die Bioverfügbarkeit mancher Wirkstoffe zu erhöhen und sie somit wirksam und marktfähig zu machen.

Das alles ist vielen Patienten nicht bewusst, aber der Wirkstoff alleine entfaltet seine volle und gezielte Wirkung erst über die verschiedenen Hilfsstoffe. Auch zur Steigerung des Komforts bei der Medikamenteneinnahme tragen Hilfsstoffe bei, indem sie beispielsweise Bitterstoffe überdecken oder bei Tabletteneinnahme ohne Wasser für ein angenehmes Mundgefühl sorgen.

pharmaindustrie-online.de: Ist Standardisierung in Ihrem Bereich vorherrschend oder verlangen die Kunden aus der pharmazeutischen Industrie nach individuellen Konzepten?

Nun, das ist sehr unterschiedlich und hängt von der Aufgabenstellung und den Herausforderungen des Kunden ab. Wirkstoffe und Formulierungen sind individuell, somit auch ihre Herausforderungen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass Standardisierung in diesem stark regulierten Markt wichtig ist. Eine starke Tendenz zu Standardprodukten sehen wir bei Generikaherstellern, die Medikamente bei Patentablauf oft eins zu eins kopieren. Hier spielt Standardisierung eine entscheidende Rolle. Wir haben aber auch im Generikamarkt den Gegentrend und die Suche nach individuellen Konzepten, z.B. bei „Supergenerics“. Hier wird ein Medikament im Sinne der Kunden-Convenience einfach einen Tick besser – für einen besseren Geschmack oder eine bessere Darreichungsform. Sie sorgen so für mehr Differenzierung auf dem Generika-Markt und auch für mehr Gewinn durch Life-Cycle-Management.

Generell bieten wir unseren Kunden eine Individuallösung an. Dabei ist die Palette unserer Hilfsstoffe standardisiert, aber die Formulierung wird individuell durch die Kombination einzelner Elemente. Die Kundenorientierung steht für uns im Vordergrund: Unsere Industrieexperten, die meisten Pharmazeuten, sprechen die Sprache der Kunden, Nur wenn wir die Formulierungsherausforderungen verstehen, können wir Lösungen durch die Funktionalität unserer über 100 Hilfsstoffe in Kombination mit Produktionstechnologien und Darreichungsformen finden und so einen wichtigen Beitrag zum Erfolg unserer Kunden liefern. Mit vier Lösungs-Plattformen haben wir unsere Kompetenzen des Hilfsstoffportfolios über Funktionalitäten im Sinne des Kunden gebündelt und können gezielt zur Lösung der Herausforderungen unserer Kunden beitragen. .Dazu gehört die Plattform „Sofortige und verzögerte Wirkstoff-Freisetzung“. Eine weitere dreht sich um die „Löslichkeit von Pharmawirkstoffen“ – also die Bioverfügbarkeit für den menschlichen Körper. Auch „Transdermale Anwendungen“ zur Aufnahme von Wirkstoffen über die Haut ist ein Themenbereich, ebenso wie „Softgels“ - Weichgelatinekapseln. Mit diesem Ansatz wollen wir unseren Kunden einen zielgruppenorientierten, schnellen Zugang zu unserem Portfolio gewährleisten.

pharmaindustrie-online.de: Welche großen Herausforderungen tauchen im Bereich der Hilfsstoffe immer wieder auf, was bedarf es Ihrer Meinung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie? Kann die BASF diese heute schon meistern?

Die größte Herausforderung in der Zusammenarbeit besteht darin, möglichst früh in den Prozess einzusteigen. Nur so kann man verstehen, welche Ziel der Kunde verfolgt. Aus diesem Grund haben wir die Plattformen entwickelt, um schnell und einfach Zugang zu unserem Portfolio und unserer Expertise zu ermöglichen. Ergänzt wird dieser Ansatz durch Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette, z.B. mit Systemhäuser und Technologiepartnern, um schnell zu zielführenden und umfassenden Lösungen zu kommen. Solche Kooperationen werden auch in Zukunft an Bedeutung gewinnen, denn die Dauer bis zur Markteinführung eines Medikamentes gewinnt zunehmend an Bedeutung. Gründe hier sind u.a. im Kostendruck auf die Gesundheitssysteme oder auch dem Wettlauf der Generikahersteller bis zum Zeitpunkt des Patentfalls zu finden. Wenn man Medikamente schnell und kostengünstig auf dem Markt bringen will, gilt es, die Köpfe zusammenzustecken und eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten.

pharmaindustrie-online.de: Eine persönliche Frage zum Abschluss: Wenn Sie einen Wirkstoff erfinden könnten – gegen welche aktuell noch nicht heilbare Krankheit würde dieser helfen – also sozusagen Ihr perfekter „Hilfsstoff“ im doppeldeutigen Sinn?

Egal in welchem Bereich, da ist noch viel Luft nach oben. Wenn Sie mich so fragen, würde ich mich sehr freuen, wenn im Bereich der Krebserkrankungen Fortschritte erzielt würden, denn jeder erfährt es im Familien- oder Bekanntenkreis. Zwar ist das nicht das Themenfeld von BASF, aber ich bin überzeugt davon: Wenn wir über die Hilfsstoffe den Wirkstoff für die Patienten mit schweren, lebensbedrohenden Krankheiten verfügbar machen können, dann wäre das ein großer Beitrag für die Menschheit. Gerade mit der Überalterung unserer Gesellschaft ist das aktueller als je zuvor.

Und wenn wir es schaffen, über Generika die Menschen in den Entwicklungsländern mit kostengünstigen Arzneimitteln zu versorgen, das würde mir Freude bereiten. Darin sehe ich den Sinn, jeden Tag dafür aufzustehen und mit großer Leidenschaft die Dinge voranzubringen.

Herr Sievert, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Über Kai Sievert
Kai Sievert ist seit 1998 in der BASF-Gruppe tätig. Der Diplom-Kaufmann hat seit über zwölf Jahren verschiedenen Führungspositionen in den Bereichen Ernährung, Pharma und B2B-Marketing bekleidet. Unter anderem war Sievert verantwortlich für die Einheit “Regional Marketing & Sales - Nutrition Ingredients Asia-Pacific“ und führte die Einheit “Global Business Development & Specialty Business - Human- & Animal Nutrition“. Zudem hat er die Post-Merger-Integration des norwegischen Omega-3-Herstellers Pronova BioPharma geleitet.